Der Schwarze Wal – Kapitel 4

„Wehr dich gegen die Dunkelheit.“

Im vierten Kapitel von Der Schwarze Wal des Generals Ganmor Yrne ist die junge Ewilde Even auf der Flucht vor dem mörderischen Blumenpflücker, der ihre Haushälterin getötet hat. Nun dominieren Angst und Hoffnungslosigkeit die Geschichte, die ein Teil der Weltraumlegende Die Vierte Energie ist und in den nächsten drei Monaten jeden Donnerstagabend auf die DieVierteEnergie.com erscheint. Wie jede Woche findet ihr unten ein paar Notizen.

Hier geht es zu Kapitel 4. Wer nicht warten kann und/oder lieber die ganze Geschichte am Stück lesen will, muss übrigens nur hier meinen Newsletter abonnieren. Alle Abonnenten bekommen Ende Januar 2016 das komplette E-Book zugesandt.

Notizen zu Kapitel 4

Für mich ist die größte Herausforderung und gleichzeitig das Faszinierendste beim Schreiben, die Charaktere einer Geschichte zu finden. Und ich formuliere das mit Absicht so. Charakteren – vor allem die Zentralen einer Geschichte – kann ich nicht erschaffen. Konstruieren funktioniert da nicht. Auch entspringen diese Wesen keiner Eingebung – göttlich oder logisch – und keinem Geistesblitz. Charakteren müssen – so empfinde ich es zumindest – aktiv gefunden werden. Hinzu kommt, dass ich sie selten in einer Komplettversion finde. Einzelne Aspekte ihrer Art gilt es auf verschiedenen Ebenen zu entdecken, sodann zusammenzuführen, wie sie immer schon zusammengehört haben.

Franzin aus Der Blutende Planet zum Beispiel habe ich an drei Orten gefunden. Sein Aussehen, die kleine Statur, die feinen Hände und das wirre Haar fand ich im Bild eines Kindheitsfreundes. Die nervöse Wissbegier und die unbeholfene Art mit anderen Menschen umzugehen in einem jugendlichen Schüler aus meiner Zeit als Aushilfslehrer. Das Bedürfnis komplexe Probleme zu visualisieren schließlich habe in mir selbst entdeckt. So habe ich Franzin Stück für Stück gefunden. Aber ich habe ihn keineswegs erfunden. Er war immer da, genau so wie er schlussendlich in der Geschichte erschienen ist.

Andere Charakteren verstecken sich in der Geschichte selber. NR ist ein solches Exemplar. Diese angespannte lippenbeißende junge Frau immer darauf ausgerichtet ihr Ziel zu erreichen, ohne dabei ihre Menschlichkeit jemals aufzugeben. Ja, Menschlichkeit zu einem eigentlichen Lebensziel gemacht hat und sich damit soviel Verantwortung aufgeladen hat, dass jeder andere darunter zerbrechen würde. NR jedoch mit viel Schweiß und absoluter Selbstaufgabe schafft es irgendwie zu bestehen, die Aufgaben zu meistern. Diese NR hat sich in der Geschichte versteckt. Gefunden habe ich sie als ich die Ereignisse um ihr Attentat auf die Friedensverhandlungen niedergeschrieben habe, bei dem sie mit Leichtigkeit die Gefahr um ihr eigenes Leben meistert. Sie hadert erst als sie einem unschuldigen Menschen Schaden zufügen muss. Doch auch hier nimmt sie die Schuld schließlich auf sich, weil es keinen anderen Lösungsweg gibt. Während ich verschiedene  Charakteren durch diese Hölle geschickt habe, sind sie alle daran zerbrochen. All die tollen Rebellentypen mit Lederwesten und haarigen Freunden kamen nicht damit klar. Doch am Rande der Gruppe möglicher Rebellen stand diese unterernährte Jugendliche, jeder Muskel angespannt, angefüllt mit so viel Tatendrang, dass sie kurz vor der Explosion schien. Nach vielen Fehlversuchen habe ich ihr schließlich eine Chance gegeben und wie auch immer sie es gemacht hat, hat sie die Situation gemeistert, genau wie alles, was ich ihr danach in den Weg gelegt habe.

Aber es gibt auch Ausnahmen. Charakteren, die mich finden. Ich weiß nicht, wie das geht, wie diese Figuren sich einfach so vor mich hinstellen können und mir sagen: „Schreib eine Geschichte über mich.“ Es ist selten, dennoch kann es vorkommen. Zumindest einmal. Agra Kan ist dieser Charakter. Eines Morgens – oder besser eines Nachts– als ich diese für mich sehr persönliche und emotionale Geschichte eines Vaters auf der Flucht mit seinem Sohn geschrieben habe, tauchte sie plötzlich auf und riss die Geschichte an sich mit ihrer ganz eigenen kein-Unsinn-Art. Am Schluss hat sie sich sogar noch den Titel gekrallt: Das Rote Haus der Agra Kan.

Bei der Schwarzer Wal hat es untypisch lange gedauert bis ich die zentrale Figur gefunden habe. Als die Ereignisse noch Teil von Der Blutende Planet waren, dachte ich sie in der Person eines Managers des Konsortiums Ende Dreißig gefunden zu haben. Dieser Mann ging ein wenig ziellos durchs Leben. Er war etwas übergewichtig. Unzufrieden irgendwie. Mit vielen Plänen und zu wenig Energie sie umzusetzen. Doch dieser Mann passte irgendwie nicht in die Vierte Energie. Also suchte ich mir eine jüngere Variante, was dann jedoch nur eine zweite Version von Leos gewesen wäre. Vielleicht älter. Vielleicht der dort drüben mit den farbigen Kleidern. Nein, nein. Haareraufend – zumindest im übertragenden Sinne – saß ich vor den Wörtern und Sätzen und Absätzen. Keiner der verschiedenen Kandidaten wollte auf die dunkle Reise gehen, die ich für den schwarzen Wal geplant hatte. Bis ich schließlich an einem heißen Vormittag mit einem noch heißeren Kaffee am Rheinufer bei Basel saß und eine leise Stimme hörte. Die Worte klangen zerbrechlich. Unsicher. Dennoch stritt die Stimme offensichtlich mit jemandem. Nur war das Gegenüber nicht zu hören. Ein wilder zerbrechlicher Wortwechsel mit sich selbst. Ohne hinzusehen stellte ich mir das erste Mal Ewilde Evien vor. Erst als ich mir diesen Art der Unterhalten eigeprägt hatte, blickte ich die junge Frau an. Sie war groß, sportlich, beinahe muskulös und unterhielt sich offensichtlich am Telefon mit jemandem. Der visuelle Aspekt der Realität passte nicht. Ewilde sollte körperlich nicht dominant erscheinen. Das Bild der Ewilde Evien fand ich in wiederum in einer Erinnerung. Ein Meer von wirren schwarzen Locken um ein blasses feines Gesicht und der schmale Körper. Das war eine Porzellanpuppe, die in meinem Elternhaus stand. Ich weiß nicht, was aus der Puppe geworden ist, aber das Bild ist mir geblieben.

Und so habe ich Ewilde Evien gefunden.

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