Über die Sprache – Januar 2014

Eigentlich sollte ich am Roten Buch arbeiten, aber ich habe Kopfschmerzen und ich fühle mich schlecht oder blau oder irgendwie verschoben. Eigentlich ist dieser Zustand nicht negativ fürs Schreiben – es kommen mir gute Ideen, wenn ich mich wie heute fühle. Will heißen, der wenige Schlaf liegt schwer auf den Augenlidern. Die verspannten Nackenmuskeln – knackende Geräusche schon bei der ersten bewussten Handlung nach dem Aufstehen: Kaffeemaschine einschalten – schicken einen pulsierenden Schmerz in die Region gleich hinter der Stirne. Die Welt erscheint hinter einem Vorhang. Von nicht weichen wollender Müdigkeit. Nicht mal die andere Stimme bekommt etwas Sinnvolles oder Witziges zusammen.

Woran ich mich erinnern will: Die Narbe der Amerikanerin (Schönheit finden in diesem rosa Streifen auf dem Bauch), ich kann die Beerdigungen meiner Eltern nicht auseinanderhalten, obwohl Jahre dazwischen liegen. Die Erinnerungen verschwimmen zu einer Collage aus unscharfen Bildern und Leuten – und Deutsch und Englisch und Dialekt hatten früher eine andere Bedeutung für mich als heute.

Ich soll das nicht tun, sagt sie, aber ich bin mir nicht sicher, ob genau mit diesen Worten. Die Erinnerungen unvollständig.

Ich weiß, dass sie mir nicht böse ist. Die Worte sind gedacht als freundliche Ermahnung, als Wunsch. Ich habe Hochdeutsch mit ihr gesprochen. Sie will das nicht. Sie ist Deutsche. Es ist ihre Sprache. Ich soll normal sprechen, will heißen, Dialekt, Baseldeutsch. Sie versteht es gut.

Es ist ihr angenehmer, wenn ich meine Sprache gebrauche, so rede, wie mir der Mund gewachsen ist. Das ist 20 Jahre her. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich verschiedene Sprachen damals bewusst gebraucht habe, Wert auf deren Auswahl gelegt hätte. Lehrer in der Schule bestimmen, welche Sprache man spricht.

Später entscheide ich selbst und ich beginne bewusst zu entscheiden. Dann kommt eine emotionale Bindung zu verschiedenen Sprachen. Als Jugendlicher hat man das wohl nicht. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Ich schreibe damals, um Frauen zu beeindrucken, später um mich selbst zu beeindrucken, heute ist es eine Art Zwang und manchmal eine Gewohnheit.

Sprache wird von einer behäbigen Lästigkeit zu einem Werkzeug zu einem Objekt, mit dem man ein Gefühl oder Zustand verbindet. Es ist wie diese Spiegelreflexkamera, die ich mir irgendwo in British Columbia kaufe. Wieso auch immer sind Kameras damals (Ende der 90er Jahre) in Kanada spottbillig, ansonsten würde mir das Geld für einen solchen Kauf fehlen. Die Kamera begleitet mich 7 Jahre lang. In der Zeit dazwischen. Zwischen zwei Beerdigungen. Die Mutter stirbt 1998 und der Vater 2005. Die Kamera ist mehr als ein Apparat zum Belichten von Filmmaterial. Sie ist mir wichtig. Sie zeichnet meine Schritte auf. Sie ist meine Begleiterin. Dennoch ist sie ein es. Sprachen begleiten mich genauso.

„Stop it. You’re doing it again. You sound like you’re writing a damn story. Talk to me … for real.“

Es ist mein Englisch. Wir liegen im Bett. Es stört sie, wenn ich so rede. Sie liebt in ihrer Sprache, ich in einer fremden. Sie kommt mir nicht natürlich über die Lippen. Es hat etwas Künstliches, nicht falsch, nicht unecht, sondern so, als seien wir in einem Theaterstück – nein, das ist nicht Berlin – oder einem Roman vom Kalifornier – nein, das hier ist nicht Monterey.

Wie ein Film, genau wie ein Film fühlt es sich an. Das passt, die Kulisse ist der Central Park draußen vor ihrem Appartement. Alle Figuren sind so verdammt interessant, weil sie voller Konflikte sind, äußerlich wie innerlich und trotzdem simpel gestrickt. Und es muss immer einen Hook und ein paar Plot Points haben, damit die Dramaturgie stimmt. Zudem sehen alle ihrer Freunde gut aus – Werbebranche –, aber nicht zu gut, ein wenig fucked up eben, der Zeit entsprechend. Darum finde ich zumindest passt auch meine Sprache. Ich bin der europäische Künstler oder Schriftsteller. Mein Englisch passt. Finde ich. Sie nicht.

Damals ist das Englische die Kunstsprache für mich. Ich lese nur Englisch. Den wahren Mann und den Kalifornier verschlinge ich. Den dunklen New Yorker mag ich erst nach einigen Versuchen. Sogar den Japaner entdecke ich in Englisch. Nur den Architekten kann ich nicht in Englisch lesen. Er bleibt zu nahe an der Heimat. Ihn muss ich im langweiligen Deutsch lesen. Das Englisch ist die Hochsprache, mehr noch, es ist die Nikon für mich.

Aber wie die Nikon irgendwann verschwindet – ein Umzug vielleicht oder ein finanzieller Engpass, an den ich mich nicht erinnern kann –, verblasst auch das Englische. Es geht 10 Jahre. Zehn Jahre Arbeit in einer amerikanischen Firma. Die Sprache wird gewöhnlich, alltägliche Mitteilungen, Sitzungen.

Das Hochdeutsche wird irgendwann wieder die Nikon. Heute differenzierter und mit mehr Selbstvertrauen ist es ein Schweizer Hochdeutsch. Wieder kann ich mich erinnern. Die Erfahrungen kommen zurück. Sie sind an diese Sprache gebunden.

Dabei geht es nicht um grammatikalische Spielereien und orthographische Datenbanken. Mit solchen Aspekten kämpfe ich, schon immer. Eine Lehrerin vermutet eine leichte Form der Legasthenie. Mir ist der Klang der Sprache darum vielleicht wichtiger, das Gefühl, das dabei entsteht, egal ob geschrieben oder gesprochen.

Der Dialekt ist keine Hochsprache. Zu wenige würden ihn verstehen. Der Klang der Sprache bedeutet auch, dass es bei Sprache um den Austausch zwischen Menschen geht. Es werden Inhalte, aber vor allem Gefühle geteilt, mitgeteilt. So wie eine Kamera ein Bild von etwas Vergangenem macht, es für den Fotografierenden aufzeichnet, ihn damit befähigt, es anderen zu zeigen. Natürlich ist es seine Aufzeichnung dessen, das war – mit allen Einstellungen und Filtern, die er gebraucht. Genauso teilt auch Sprache etwas mit, das in mir aufgezeichnet wird und das für andere miterlebt werden kann.

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