Über die Ruhe – Januar 2015

Endlich, das Wahrnehmen von Wärme auf meinem Handrücken, während ich schreibe. Die Sonne zeichnet scharfe Schatten meiner Finger auf der Tastatur. Ihre sanfte Hand ohne Körper streichelt über meinen Nacken, dann über die Wangen, die Lippen und spendet gerade genug Kühlheit, um die aufkommende Hitze auszubalancieren.

Scheiße, in diesem Moment, diesen Sekunden fühlte sich das alles perfekt an. Will heißen, ich möchte gerade nichts anderes spüren. Genau dieses Erhitzen der Kleidung auf meiner Haut. Die Berührungen des Windes. In meinem Kopf, genau in der Mitte meiner Gedanken, höre ich Damaskus Rose von Vangelis.

Ich muss an den Blattläufer denken und dass ich den Film wieder mal sehen möchte. Mit jemandem, der ihn zu schätzen weiß. Die zähen, riesigen Bilder, die langsame, etwas unrhythmische Handlung, die mich jedes Mal stolpern lässt. Der kratzige Detektiv und die verlorene Schönheit mit dem dunklen Meer aus Locken. Zweiundzwanzig war sie. Gerade alt genug, um erwachsen genannt zu werden. Zu jung, um die Rolle wirklich auszufüllen.

Ich hab mich schon lange nicht mehr zu jung gefühlt. Zu viele feine Striche um die reflektierten Augen am Morgen. Dann, wenn mein Körper mich, den Geist, durch die Stille der späten Nacht zur Kaffeemaschine zieht, dann auf den Balkon. Die letzten funkelnden Sternenpunkte vermischen sich mit der Idee einer bald aufgehenden Sonne.

Ich schreibe, ich versuche zu schreiben, durch den Nebel hindurch versuche ich zumindest Worte aneinanderzureihen. Mehr ist es noch nicht. Irgendetwas fehlt noch.

Danach der Zug und dort spiele ich eine andere Rolle. Dann funktioniert es. Jetzt verliere ich mich in den Wörtern. Die Musik in meinem Kopf ist ein Teil davon, aber es ist mehr. Vielleicht ist es eine idealisierte Vorstellung von Zugreisen. Vielleicht nur die Vorwärtsbewegung. Oder die Enge der unmittelbaren Umgebung zu verlassen.

Dennoch geht es ohne Musik nicht. Überall ist so viel Unruhe, so viel Lärm. Und all die dummen, blabbernden Menschen um mich herum, die meine Gedanken stören, sie übertönen, mit einer kopflosen Aggressivität an meinen Nerven picken. Wahrscheinlich sind ihre gesprochenen Worte selbst für ihre eigenen Gedanken zu laut, haben sie längst totgetrampelt. Oder die Gedanken haben sich ergeben und in eine ruhige Ecke ihres Kopfes zurückgezogen, leben dort ein einsames, aber durchaus friedliches Leben.

Ruhe ist ein Teil des Ausgeglichenen. Nur in der Ruhe kann die Schönheit des Moments wirklich gespürt werden. Menschen reden zu viel und denken zu wenig. Nein, sie nehmen zu wenig wahr.

Vielleicht habe ich auch nur zu viel Zeit mit meinen Gedanken verbracht. Vor zwei Jahren habe ich begonnen die Geschichte zu erzählen. Zwei Jahre, um eine einzige Geschichte zu erzählen. Es war Frühling, als die ersten Zeichen auf dem Bildschirm erschienen. Dann mehr Zeichen und dann Worte, Sätze und irgendwann wurden aus den Zeichen Gedanken. So wie es sein sollte. So wie ich mir das vorgestellt habe: Gedanken, die ein Märchen von Figuren erzählen.

Der nächste Schritt hat mich überrascht. Ich kannte ihn noch nicht. Die Figuren begannen sich auf einmal ohne mein Zutun zu bewegen. Sie öffneten den Mund und Worte erklangen, die ich nicht zuvor gedacht hatte.

Das fühlte sich so an wie damals im Brooklyn Bridge Park.

Sie redet nicht mit mir. Ich hab ihr noch keinen Text geschrieben. Sie ist ein Charakter in meinem schmerzhaft realen Theaterstück. Wieder und wieder Zigaretten aus meiner Brusttasche fischend, ohne zu fragen. Ungeduldig abwartend, bis ich sie ihr anzünde. Die Tränen haben schon vor Minuten aufgehört in den East River zu fallen. Genau wie das Abwasser haben sie sich mit dem graugrünen Fluss vermischt, der sich selbst in ein paar Kilometern im Atlantik auflösen wird.

„There are suppose to be crocodiles living here“, sagt sie und es ist, als würde eine Vorstellung, etwas, das ich nur geträumt habe, auf einmal selbst Worte aussprechen. Daraufhin spüre ich nochmals diese kühle Hand und die Szene wird erneut ruhig.

Ich schweige, weil sich die Worte nur in der Stille formen. Oft höre ich sie zuerst nicht. Ich werde ungeduldig, dann ängstlich, schließlich panisch. Sie könnten ja entflohen sein. Von der kühlen Hand weggetragen. Ich habe jedoch schon gelernt, dass ich nur still sein muss. „Quite please. Recording in Progress.“

Ich muss das Vakuum des Raums zulassen. Und dann füllt es sich. So simple ist es.

Natürlich ist ihre Geschichte ein Märchen. Alle Geschichten sind Märchen. Die Geschichte der letzten zwei Jahre ist auch ein Märchen. Es spielt an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit. Der Ort ist feindlich und die Zeit unruhig. Menschen kämpfen, schreien, ficken und sterben. Und gleichzeitig spielt sich das alles am ruhigsten Punkt meiner Selbst ab, wo immer noch Damaskus Rose läuft.

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