Magische Stunden, das sind ein oder zwei Stunden, bevor die Disney Freizeitparks offiziell ihre Tore öffnen und nur ein paar wenige (dafür zahlende) Kunden schon mal verschlafene Freizeitparkangestellte nerven dürfen. Magische Stunden (oder goldene Stunden) sind auch die erste und letzte Stunde von Sonnenlicht an einem Tag, die von einigen Regisseuren (bspw. Terrence Malick in Tree of Life und Stanley Kubrick in Full Metal Jacket) gezielt benutzt werden, weil der Kontrast zu dieser Zeit weniger stark ist. Damit haben meine magischen Stunden gänzlich wenig zu tun.
Ich stehe jeden Morgen zwischen 4:00 und 4:30 Uhr auf, um meine täglichen zwei Stunden Schreiben hinzubekommen. Das sind meine magischen Stunden, die ich in meinem Schreibzimmer verbringe. Kaffee trinkend, gähnend und meist missmutig, weil es einfach zu früh ist für Kreativität. Aber so ist das eben, wenn man einen Vollzeitjob hat und zwei kleine Kinder und der Tag angefüllt ist mit den Aufgaben eines Erwachsenen. Zwischen 6 und 7 helfe ich meiner Frau, die Kinder zu füttern und anzuziehen. Dann muss ich meistens los zur Arbeit. Vielleicht kommen mir noch ein paar Ideen fürs Schreiben auf dem Arbeitsweg, aber da kommen BING schon die ersten E-Mails auf dem intelligenten Telefon an. Der Rest des Tages ist zugepflastert mit dem Verdienen des Lebensunterhalts.
Ich habe das frühe Aufstehen begonnen, als ich letztes Jahr für einen Halbmarathon trainierte. Neben der Arbeit blieb zum Laufen nur der Morgen oder der Abend und da ich die kurzen Abende lieber mit meiner Frau verbringe, ging ich eben in der Dunkelheit trainieren. Ständige Wiederholung führt irgendwann zur Gewöhnung. So kann ich heute, auch ohne von meiner billigen Timex Expedition mit Vibrationsalarm geweckt zu werden, kaum mehr länger als bis 5:00 Uhr schlafen. Gewöhnung bedeutet jedoch nicht, dass mein Körper es besonders mag, zu dieser frühen Zeit geweckt zu werden. Ich bin eigentlich den ganzen Tag hindurch am Gähnen. Am späten Nachmittag kann ich die Augen kaum mehr offen halten. Zum Glück gehe ich dann nach Hause, wo mich meine dreijährige Tochter mit allen möglichen Spinnereien und Erzählungen packen und wachrütteln kann.
Anfang zwanzig, als ich meine romantische Vorstellung vom Künstlersein leben wollte, habe ich immer spät abends oder nachts gearbeitet und war der Meinung, das wäre normal für einen Schriftsteller. Aber letzten Monat bin ich auf ein interessantes Buch gestoßen über die tägliche Routine von Künstlern: Daily Rituals: How Artists Work von Mason Currey.
Es ist angenehm zu lesen, dass es doch ein paar andere Künstler gibt, welche die gleichen Arbeitszeiten haben. Ernest Hemingway, Immanuel Kant, Toni Morrison und Sylvia Plath sind alle Frühaufsteher, obwohl Letztere nur, weil zur frühen Morgenstunde die Wirkung ihrer Beruhigungsmittel aufhörten zu wirken. Besonders freute mich, dass auch der Autor Haruki Murakami zu den Frühaufstehern gehört. Nachdem ich jahrelang seine Bücher las, entdeckte ich mit Freude, dass auch er gerne läuft. Dabei waren Joggen und Schreiben auch so zwei Dinge, die in meinem Kopf überhaupt nicht zusammenpassten.
Schlussendlich ist es wahrscheinlich egal, wann man schreibt, das Rituelle oder besser noch das Repetitive ist wichtig. Murakami drückt es in der Paris Review 2004 wohl am besten aus:
„Die Repetition selbst wird das Wichtige; es ist eine Form von Selbsthypnose. Ich hypnotisiere mich in einen tieferen Geisteszustand.“