„Er bekam kaum noch Luft. Es war der 4. Tag oder Jahr oder Jahrzehnt seitdem er in den Sumpf getreten war. Dieser Dreck hatte jedoch schon länger an ihm geklebt. Sie kam manchmal in seine Gedanken. Alle paar Jahre. Ein flüchtiger Gedanke, dann eine Obsession. Er sank langsam, sehr langsam. So dass er es zuerst gar nicht bemerkt hatte. Er stand nur so da und lebte. Irgendwann ein kühles, nasses Gefühl an seinen Füßen. Klar, es war ja auch feucht hier und schmutzig. Aber da musste man eben durch. Bis er verstand, was los war, war es zu spät, die Füße hingen fest. Da war sie wieder. Dieses Mal jedoch nicht in Gedanken. Wie ein Engel erschien sie über ihm. Und dann streckte sie ihre Hand aus, um seine Wangen zu streicheln. Wieder versank er. Dieses Mal in der niemals enden wollenden Seligkeit, die ihre Berührung auslöste. Es war … Es kam ihm vor wie … Irgendwie war alles so …”
Ja, was ist es? Wie kann ich das beschreiben? Ich ziehe das Gefühl, den Sinnesausdruck aus einer Erinnerung. Aber das macht es nicht einfacher. Denn dort ist er nur eine wilde Mischung aus Bildern, Filmen, Gerüchen und ein paar diffusen Wörtern.
Ich denke eigentlich lieber, als dass ich schreibe. Aber niemand hört meine Gedanken. Also schreibe ich. Wieso schreibe ich? Weil ich gehört werden will. Aber wieso will ich, dass mich irgendjemand oder jemand hört? Zwei Gedanken kommen zusammen: Es hat wohl mit eben diesem Gefühl zu tun, das mir solche Mühe macht, es zu beschreiben. Ich sehne mich nach diesem perfekten Gefühl. Aber das Problem ist, ich kann es mir nicht selbst verschaffen.
Es geht nicht um Sex. Obwohl, bin ich mir da wirklich sicher? Was ist dieses Gefühl, das mich so erfüllt, dass es an gewissen Tagen alles ist, an das ich denken kann, das mich verzweifelt dazu treibt, wieder einzuschlafen, wenn es mich in einem Traum kurz vor dem Aufwachen gestreift hat? Es ist wohl mehr als ein Sinneseindruck.
Ein Versuch: Eine warme Dunkelheit, die süßlich ist, in die ich mich fallen lasse.
Dunkles Haar, das schwer und frisch gewaschen riecht. Ein Lächeln. Eine raue dunkle Stimme in einem fremden Dialekt. Die Lippen sind überall.
Ein verführerischer Abgrund, ein schüchterner Riese, ein großer Baum – eine Eiche, soweit ich mich erinnern kann –, Dinge, die Frauen über mich gesagt haben. Zudem noch ein verschlossenes Arschloch, ein selbstherrlicher Löwe und ein besoffener Hurensohn. Das meiste von den gleichen Frauen.
Ist der einzige Grund zu schreiben, Frauen zu beeindrucken? Gibt es dazu nicht ein Zitat?
Ich möchte etwas mitteilen. Scheiße, das geht ja wieder in dieselbe Richtung. Gut, nochmals, ich schreibe, weil mir eine Frau gesagt hat, dass ich es gut kann. Das hatte nun wirklich nichts mit Sex zu tun. Sie war eine über fünfzigjährige Deutschlehrerin. Irgendwie habe ich sie grau in Erinnerung. Aber keine graue Maus, sie war intelligent, scharf in ihren Aussagen. Und obwohl sie eine in sich zusammenfallende Körperhaltung hatte, verströmte sie eine Aura der Autorität.
Ich kann gut mit Frauen in diesem Alter. Ich verstehe mich gut mit ihnen oder besser sie verstehen sich gut mit mir. Ich bin damals zwischen 15 und 20, ein Teenager. Ich treffe ein paar dieser Frauen. Sie sind wichtig für mein Leben. Wieso weiß ich nicht.
Es ist eines der wenigen Male, in denen ich gut mit Menschen kann. Ansonsten bin ich schlecht mit Menschen, vor allem mit Menschen in der Mehrzahl, in Gruppen.
Heute, als Professioneller, als Arbeitender habe ich eine Person geschaffen, die das kann. Die mit Menschen umgehen kann. Die Sitzungen leiten kann, mit Mitarbeitern einfühlende Gespräche führen kann, die als Trainer andere für Wissen anregen kann.
Ich kann das alles eigentlich nicht. Es ist ein Schauspiel. Ich erinnere mich an diesen Moment, als ich zum ersten Mal eine Bühne betreten habe. Es ist ein Schülertheater. Es fühlt sich ähnlich an. Es ist gespielt. Aber so geht es.
Ich mag es jedoch auch nicht, allein zu sein. Hasse es. Außer ich schreibe, dann muss ich allein sein. Aber sonst bin ich gerne mit einer Person. Ich bin am besten im one-to-one. Eine Person ist auch mehr als genug, um darauf seine ganze Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Es geht dabei nicht nur darum, was die Person sagt, sondern wie sie erscheint. Die Gesichtszüge, die Haare, das Lächeln, die kleinen Falten, die sich im Gesicht bilden, und die Augen. Die Augen enthalten so viel Information, man könnte sich nur gegenseitig anstarren und würde mehr erfahren als in einem Gespräch.
Ich fühle mich immer wieder wie diese 16-jährige Version von mir. Ich war ein guter 16-Jähriger. Will nicht heißen, dass ich alles richtig gemacht habe oder in meinen Unterfangen sehr erfolgreich war. Ganz im Gegenteil, ich habe wohl mit 16 ein paar wirklich dumme Entscheidungen gefällt und einigen Menschen Schmerzen zugefügt.
Ich meine nur, dass ich altersentsprechend war. Man macht in diesem Alter Fehler. Nachher bin ich irgendwie hängen geblieben, so als ob ein Teil von mir in einem Netz aus warmem, braunem Zucker festklebte.
Dabei ist es nicht die Hitze. Es ist die Dunkelheit und Wärme. Es ist mehr. Liebe?
Ich habe versucht älter zu werden, erwachsen. Aber irgendwie waren alle die Entscheidungen, die ich getroffen habe, um erwachsen zu werden, absoluter Scheiß. Irgendwelche Dinge, die respektabel waren.
Aber ich will ja nur dieses Gefühl beschreiben.
Noch ein Versuch: Wärme, eine Umarmung, Haut auf Haut. Sex? Nein, keine Friktion von Sexualorganen, keine Hitze, sondern die Wärme als Gefühl, das nichts mit Temperatur zu tun hat. Ein Nach-Hause-Kommen.
Dunkelheit, ein Gefühl von Endlosigkeit und gleichzeitigem Eingehülltsein, aufgehoben. Druck auf meiner Haut.
Süß, eher süß-herb, wie diese teure dunkle Lifestyle-Schokolade, die heutzutage überall verkauft wird, aber eigentlich nicht viel anders schmeckt als die gute alte Kochschokolade aus meiner Kindheit.
I miss that feeling. That feeling of a warm dark chocolate kiss. Where can I buy it? How can I get it. It’s about being a child, it’s about being a juvenile, a lost soul. Once found, nobody wants to leave it.
„Er stand immer noch in diesem Sumpf. Sie war wieder weg. Wieder nur ein Gedanke, ein Traum. Dabei wollte er niemals dorthin, niemals den Weg des Lebens beschreiten. Er wollte immer nur nach Hause kommen und in der warmen Umarmung eines dunklen Engels süße Tode sterben.”